Wälder und Entwaldung

Der Wald als Grenze
Gefährdete Urwälder 
Der Wald jenseits der Menschheit
Nachhaltiges Leben im Wald 
Wälder als Diskurs
Weiterführende Links

Literarische Auseinandersetzungen mit Wäldern und Entwaldung sind besonders in der österreichischen Literatur von zentraler Bedeutung.

Der deutsche Förster Carl von Carlowitz, in seiner Silvicultura oeconomica von 1713, war der erste, der Wälder als Holzressource im Kontext von Nachhaltigkeit behandelte. Carlowitz entwickelte eine nachhaltige Methode, um Holz abzubauen, sodass für zukünftige Generationen hieraus kein Nachteil entstehen und sie Zugang zu denselben Ressourcen haben würden, wie die gegenwärtige Generation.

Später wurden Wälder zu wichtigen Themen in der deutschsprachigen romantischen Lyrik: Nicht aus der Perspektive, welche sie als Ressource sah, sondern als Stätten mythischer Konzepte der Natur und der Rolle des Menschen in der Natur, welche es zu entdecken galt. Romantische Jugendliche durchwandern in diesen Gedichten mythische Wälder, romantische Lieder singend; andere reiten auf Pferden oder fahren in Postkutschen über die neu erbauten und ausgebauten Straßennetze; wieder andere bestreiten ihr Leben im Wald und nutzen ihn als eine Pufferzone, die ihnen ermöglicht, einem exzentrischen Lebensstil nachzugehen. 

Autoren romantischer Märchen können sich entsprechend aus einer reichhaltigen literarischen Tradition der Wälder bedienen, die in der europäischen Märchentradition vorherrscht. Die Märchensammlung der Gebrüder Grimm ist nur eine Quelle unter vielen, in denen die Wälder voller potenzieller Gefahren sind (Hexen, Gesetzlose und Tiere sind dort zu Hause), in denen Charaktere aber auch Unterschlupf und Zuflucht vor bösartigen Eltern und Stiefeltern finden können.

Drawing of a hunting cabin in the journal Gartenlaube. Joseph Schmittzberger, Jagdhütte im Hochgebirge, 1888.

Zeichnung einer Jagdhütte in der Zeitschrift Gartenlaube. Joseph Schmittzberger, Jagdhütte im Hochgebirge, 1888.
 

In der Gegenwartsliteratur konzentrieren sich österreichische Schriftsteller intensiv auf das Erzählen von Wäldern und haben vor kurzem sogar damit begonnen, das Thema der Entwaldung in ihre Werke miteinzubeziehen. Der Wald wird somit oft im Kontext seines eigenen Verschwindens verstanden und behandelt.

Ein prominenter österreichischer Prosaautor und Maler des 19. Jahrhunderts, Adalbert Stifter, schuf literarische Figuren, die die alten Geschichten über Wälder als Orte der Zuflucht vor der Zivilisation, und solche, die Exzentrizität erlauben, kennen. Jedoch erkennen seine Charaktere, dass die Wälder sich zurückziehen und, dass selbst der dichteste Wald nicht mehr als Rückzugsort vor der herannahenden Zivilisation oder als Zuflucht vor Gefahren dienen kann. Der moderne Wald ist mehr und mehr menschlichen Einflüssen ausgesetzt, sei es durch umfangreiche Entwaldung, oder durch ständig zunehmende touristische Infrastruktur. Zuletzt wurden Umweltrisiken, welche Waldsterben und Umweltverwüstung auslösen, zu populären literarischen Themen.

Im Roman Die Wand, welcher in den 1960ern spielt, platziert die österreichische Nachkriegsautorin Marlen Haushofer ihre weibliche Protagonistin buchstäblich hinter einer mysteriösen Wand. Hier findet diese sich alleine in einer malerischen österreichischen Alpenkulisse wieder, als einziger Mensch in der näheren Umgebung. Sie muss lernen, den ihr zugeteilten Abschnitt des Waldes nachhaltig zu bewirtschaften und sich um ihre Tiere zu kümmern, was zu einem langen und anstrengenden, nur teilweise erfolgreichen Prozess wird. Am wichtigsten aber: Das Ende dieses Experiments bleibt ungeklärt.

Die Wälder der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek dagegen stehen deutlich unter dem Eindruck menschlicher Aktivitäten, von weitreichendem industriellen Holzabbau bis zum dichten Netzwerk touristischer Pfade und Straßen. Holzfäller und -arbeiter verlangen das Recht, arbeiten zu dürfen und den Wald als Ressource für die menschliche Entwicklung zu nutzen. Touristen verlangen für Erholungszwecke Zugang zu Wanderwegen. Überall werden Skilifte gebaut und Wälder müssen Abfahrtpisten weichen. Wanderer, Mountainbiker und Skifahrer durchkreuzen die letzten verbleibenden, zusammenhängenden Waldgebiete und Autos können an entlegenen Tankstellen und Rastplätzen betankt werden, wo früher nichts als Wald zu finden war.

Die ausbeuterische Einstellung der Holzarbeiter gegenüber der Natur überträgt sich direkt in deren missbräuchliche Behandlung ihrer Frauen und Familien. Die Gesellschaft der Waldarbeiter in Jelineks Stück Der Wald hat einen Punkt erreicht, an dem sie schlicht zerstörerisch ist. Jelinek formt diese Situation poetisch aus indem sie nichts als „gefundene“ Sprache und gebräuchliche Phrasen über den Wald in ihrer Collage verwendet – eine Technik, die sie verwendet, um den Effekt zu schaffen, der Wald spucke all diese Klischees zurück, den Lesern und Zuschauern des Stücks entgegen.

Literatur gestaltet sowohl den Wald, als auch den Prozess der Entwaldung poetisch, indem sie die menschlichen Einstellungen gegenüber der Natur in diesem Prozess betont. Leser und Zuschauer sind in der Lage, kritische Meinungen zu den Themen zu entwickeln, wenn sie die Perspektiven der verschiedenen Charaktere gegeneinander abwägen. Durch diese vergleichenden Techniken trägt Literatur zu den gegenwärtigen Diskussionen über Umweltfragen bei, indem sie eine reflektierte und reflexive Einstellung gegenüber Wäldern und Entwaldungsprozessen unterstützt und vorantreibt – Prozesse, welche sich in unserer globalisierten Welt erschreckend schnell beschleunigen.

Der Wald als Grenze

Die Erzählung des österreichischen Schriftstellers aus dem 19. Jahrhundert, Adalbert Stifter, über das Schicksal der Pechbrenner, später umbenannt in „Granit“ (1849 zunächst als „Die Pechbrenner“ veröffentlicht), wurde 1853 Teil der Geschichtensammlung Bunte Steine. In der Erzählung nimmt ein Großvater seinen Enkel mit auf einen langen Spaziergang durch einen regionalen Wald, nachdem ein Teerverkäufer die Füße des Jungen mit Öl bestrichen hatte und dessen Mutter verärgert ist über die Flecken, die er auf dem Boden des Hauses hinterlassen hat.

A block of granite. Photograph by Michiel Verbeek.

Ein Block Granit. Fotografiert von Michiel Verbeek.

Zu Beginn der Erzählung sitzt der Enkel auf einem Granitblock direkt neben seinem Haus und erfreut sich am herausragenden Ausblick über die Umgebung, obwohl er die erste Annäherung menschlicher Siedlungen in der ansonsten idyllisch-ländlichen, bäuerlichen Landschaft bemerkt:

Vor meinem väterlichen Geburtshause, dicht neben der Eingangstür in dasselbe, liegt ein großer achteckiger Stein von der Gestalt eines sehr in die Länge gezogenen Würfels. […] Eines der jüngsten Mitglieder unseres Hauses, welche auf dem Steine gesessen waren, war in meiner Knabenzeit ich. Ich saß gerne auf dem Steine, weil man wenigstens dazumal eine große Umsicht von demselben hatte. Jetzt ist sie etwas verbaut worden. […]

— Adalbert Stifter, „Granit“ (1849), Kapitel 3 in Bunte Steine, München: Goldmann 1971, online bei Projekt Gutenberg.

The Kürnberg Forest near Linz. Photograph by Christian Wirth.

Der Kürnbergwald nahe Linz. Fotografiert von Christian Wirth.

Ich sah auf die geackerten, aber noch nicht bebauten Felder hinaus, ich sah dort manchmal ein Glas wie einen weißen feurigen Funken schimmern und glänzen, oder ich sah einen Geier vorbeifliegen, oder ich sah auf den fernen blaulichen Wald, der mit seinen Zacken an dem Himmel dahingeht, an dem die Gewitter und Wolkenbrüche hinabziehen, und der so hoch ist, daß ich meinte, wenn man auf den höchsten Baum desselben hinaufstiege, müßte man den Himmel greifen können.

— Stifter, Bunte Steine.

Grazing moorland sheep (Heidschnucke). Photograph by Willow.

Grasende Heidschnucken. Fotografiert von Willow.

Zu andern Zeiten sah ich auf der Straße, die nahe an dem Hause vorübergeht, bald einen Erntewagen, bald eine Herde, bald einen Hausierer vorüberziehen.

— Stifter, Bunte Steine.

Der Wald wird zur Pufferzone zwischen Natur und den Gebieten, die zunehmend von Menschen beeinflusst und geformt werden: Hauptsächlich landwirtschaftliche Gebiete, aber auch menschliche Siedlungen. Im späteren 19. Jahrhundert werden Wälder zunehmend aus der Perspektive des Verlustes und Rückzugs beschrieben.

Gefährdete Urwälder

Neben literarischen Bearbeitungen von Wäldern als Pufferzonen gegen menschliches Vordringen war Adalbert Stifter ebenso intensiv interessiert am Konzept der Urwälder und ihres Verschwindens. Der Großvater in Stifters Erzählung „Granit“ erzählt seinem Enkel von den Wäldern nahe seinem Heim, welche einst viel größer waren. Um die unermessliche Weite und Bedeutung dieser größeren Urwälder zu veranschaulichen, erzählt der Großvater ihm eine Geschichte über die Pechbrenner, die einst in und von den Wäldern lebten:

„Wenn nicht so die Abendsonne gegen uns schiene“, sagte der Großvater, „und alles in einem feurigen Rauche schwebte, würde ich dir die Stelle zeigen können, von der ich jetzt reden werde, und die in unsere Erzählung gehört. Sie ist viele Wegstunden von hier, sie ist uns gerade gegenüber, wo die Sonne untersinkt, und dort sind erst die rechten Wälder. Dort stehen die Tannen und Fichten, es stehen die Erlen und Ahorne, die Buchen und andere Bäume wie die Könige, und das Volk der Gebüsche und das dichte Gedränge der Gräser und Kräuter, der Blumen, der Beeren und Moose steht unter ihnen.“

— Stifter, Bunte Steine.

Typical Central European mixed forest of pine, fur, and beech. Photograph by Nasenbär.

Typischer zentraleuropäischer Mischwald mit Kiefern, Tannen und Buchen. Fotografiert von Nasenbär.

In der Geschichte des Großvaters zogen sich die Pechbrenner hauptsächlich in diese „richtigen Wälder“ zurück, um der Ansteckung mit der Pest zu entgehen.

„Dieser Pechbrenner“, fuhr er fort, „wollte sich in der Pest der allgemeinen Heimsuchung entziehen, die Gott über die Menschen verhängt hatte. Er wollte in den höchsten Wald hinaufgehen, wo nie ein Besuch von Menschen hinkömmt, wo nie eine Luft von Menschen hinkömmt, wo alles anders ist als unten, und wo er gesund zu bleiben gedachte. […] Er ging aber noch weiter, als wo der See ist, er ging dahin, wo der Wald noch ist, wie er bei der Schöpfung gewesen war, wo noch keine Menschen gearbeitet haben, wo kein Baum umbricht, als wenn er vom Blitze getroffen ist oder von dem Winde umgestürzt wird; dann bleibt er liegen, und aus seinem Leibe wachsen neue Bäumchen und Kräuter empor; die Stämme stehen in die Höhe, und zwischen ihnen sind die unangesehenen und unangetasteten Blumen und Gräser und Kräuter.“

— Stifter, Bunte Steine.

Map of the world’s intact forest landscapes. Graphic by Peter Potapov.

Karte der intakten Wälder der Welt. Grafik von Peter Potapov.

Ähnlich den Charakteren, die die Wälder romantische Lyrik singend durchwandern, versucht Stifters Großvater noch, das Buch der Natur als System allegorischer Zeichen zu lesen; ein System, das bereits erste Zeichen der Zerstörung und den Verlust überlieferten/traditionellen Wissens erkennen lässt. Die Pechbrenner sind Teil dieser Kultur der Zerstörung und des Verlustes, die dem Wald nicht mehr nachhaltig gegenübersteht, sondern bereits auf die moderne, zunehmende Abhängigkeit von Kohle, Gas und Öl hindeutet – einen beschleunigten Prozess der Modernisierung, welcher durch die bevorstehende industrielle Revolution vorangetrieben wird.

Der Wald jenseits der Menschheit

Ein Roman der österreichischen Nachkriegsautorin Marlen Haushofer – Die Wand (1963) – erzählt die Geschichte einer Frau, die einige Freunde auf eine Jagdhütte in einem malerischen Alpental nahe Salzburg begleitet. Die Frau ist plötzlich gefangen hinter einer mysteriösen Wand; die einzige Überlebende einer unerklärlichen Umweltkatastrophe, welche auf der anderen Seite der Wand stattgefunden haben muss.

Mit einem Jagdhund, einer Katze und einer trächtigen Kuh sitzt die weibliche Erzählerin in einem relativ großen, aber letztlich begrenzten Areal alpiner Natur fest und muss lernen, in dieser Umgebung zu überleben. Alle Probleme ihrer urbanen Existenz sind irrelevant, als sie sich nun gänzlich darauf konzentrieren muss, zu überleben.

Drawing of a hunting cabin in the journal Gartenlaube. Joseph Schmittzberger, Jagdhütte im Hochgebirge, 1888.

Zeichnung einer Jagdhütte in der Zeitschrift Gartenlaube. Joseph Schmittzberger, Jagdhütte im Hochgebirge, 1888.

Die Herausforderung besteht darin, einen Lebensstil zu entwickeln, der nachhaltig ist und der das Überleben der Tiere und ihrer selbst garantiert.

A blooming alpine rose (Rhododendron ferrogineum). Photograph by Muriel Bendel.

Blühende Alpenrose (Rhododendron ferrogineum). Photografiert von Muriel Bendel.

Gegen ein Uhr mittags erreichte ich den Pfad, der durch die Latschen führte, und ruhte mich auf einem Stein aus. Der Wald lag dunstend in der Mittagssonne, und warme Duftwolken stiegen aus den Latschen zu mir auf. Jetzt konnte ich erst sehen, daß die Alpenrosen blühten.

Marlen Haushofer, Die Wand, Düsseldorf: Classen, 1968, S. 62.

Als rotes Band zogen sie sich über die Halden dahin. Es war jetzt viel stiller als in der Mondnacht, als läge der Wald schlafgelähmt unter der gelben Sonne. Ein Raubvogel zog hoch im Blauen seine Kreise, Luchs schlief mit zuckenden Ohren, und die große Stille senkte sich wie eine Glocke über mich. Ich wünschte, immer hier sitzen zu dürfen, in der Wärme, im Licht, den Hund zu Füßen und den kreisenden Vogel zu Häupten.

Haushofer, Die Wand, S. 62.

A Eurasian griffon vulture. Photograph by Luc Viatour.

Ein eurasischer Gänsegeier. Fotografiert von Luc Viatour.

Längst hatte ich aufgehört zu denken, so, als hätten meine Sorgen und Erinnerungen nichts mehr mit mir gemein. Als ich weitergehen mußte, tat ich es mit tiefem Bedauern, und ganz langsam verwandelte ich mich unterwegs wieder in das einzige Geschöpf, das nicht hierhergehörte, in einen Menschen, der verworrene Gedanken hegte, die Zweige mit seinen plumpen Schuhen knickte und das blutige Geschäft der Jagd betrieb.

Haushofer, Die Wand, S. 62.

Fleeing roe deer. Photograph by Teytaud.

Fliehendes Reh. Fotografiert von Teytaud.

Der Mensch ist ein Störfaktor in diesen alpinen Wäldern und wie der Text impliziert, wäre es vermutlich besser für den Wald, wenn Menschen ihm dauerhaft fernblieben. Die Autorin scheint in ihrer Erzählung zu suggerieren, dass wahrer Frieden herrschen kann, wenn der Mensch verschwunden ist. Eine Einstellung, die den radikaleren Denkrichtungen modernen Umweltschutzes nicht unähnlich ist.

Nachhaltiges Leben im Wald

Marlen Haushofers Roman Die Wand (1963) fährt fort mit dem selbstreflexiven Kommentar der Erzählerin: Sie kommentiert ihre Schwierigkeiten, nachhaltig und im Einklang mit der sie umgebenden Natur zu leben, nachdem ihr in der modernen Konsumgesellschaft, die Wohlbefinden und Ressourcenüberfluss predigt, beigebracht worden war, einfach zu nehmen, was sie wollte.                                     

Eigentlich lebe ich jetzt gern im Wald, und es wird mir sehr schwerfallen, ihn zu verlassen. Aber ich werde zurückkommen, wenn ich dort drüben jenseits der Wand am Leben bleiben werde. Manchmal stelle ich mir vor, wie schön es gewesen wäre, hier im Wald meine Kinder großzuziehen. Ich glaube, das wäre für mich das Paradies gewesen.

— Haushofer, Die Wand, S. 77–78.

Lucas Cranach the Elder, Paradies, 1530. Oil on lime, 81 x 114 cm. Held by Kunsthistorisches Museum, Vienna.

Lucas Cranach der Ältere, Paradies, 1530. Öl auf Kalk, 81 x 114 cm. Kunsthistorisches Museum, Wien.

Aber ich zweifle daran, daß es auch meinen Kindern so gut gefällen hätte. Nein, es wäre doch nicht das Paradies gewesen. Ich glaube, es hat nie ein Paradies gegeben. Ein Paradies könnte nur außerhalb der Natur liegen, und ein derartiges Paradies kann ich mir nicht vorstellen. Der Gedanke daran langweilt mich, und ich habe kein Verlangen danach.

— Haushofer, Die Wand, S. 77–78.

Der Prozess des Ringens mit einer anderen Einstellung gegenüber der Natur – einer, die nicht auf Eroberung und Ausbeutung von Ressourcen basiert – wird im Roman thematisch behandelt. Er wird allerdings nicht als Erfolgsgeschichte dargestellt. Der Text endet schlicht, als die Protagonistin kein Papier mehr übrig hat, nach vier Monaten des Schreibens über ihr Leben hinter der Wand. Er beinhaltet keine literarische Beschreibung des Waldes und ihres Lebens in ihm ab diesem Moment ihres Abenteuers.

Heute, am fünfundzwanzigsten Februar, beende ich meinen Bericht. Es ist kein Blatt Papier übriggeblieben. Es ist jetzt gegen fünf Uhr abends und schon so hell, daß ich ohne Lampe schreiben kann. Die Krähen haben sich erhoben und kreisen schreiend über dem Wald. Wenn sie nicht mehr zu sehen sind, werde ich auf die Lichtung gehen und die weiße Krähe füttern. Sie wartet schon auf mich.

— Haushofer, Die Wand, S. 276.

Traces of a crow in snow. Photograph by Ramessos.

Krähenspuren im Schnee. Fotografiert von Ramessos.

In dieser Erzählung radikalisiert Haushofer Stifters Projekt, dem Wald eine größere thematische Präsenz zu geben, indem sie das Thema der Nachhaltigkeit aus Perspektive des Waldes selbst anspricht. Eine nachhaltige Beziehung zwischen Menschen und Wäldern sollte sich vielmehr auf die Verbundenheit von Mensch und Natur konzentrieren. Menschen müssen davon absehen, sich selbst als Eroberer des Waldes zu positionieren, welche Herrschaft über die dort befindlichen Pflanzen und Tiere ausüben.

Wälder als Diskurs

An urban forest in Jakarta, Indonesia. Photograph by Yogas Design.

Ein städtischer Wald in Jakarta, Indonesien. Foto von Yogas Design.

Im Theaterstück Der Wald der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek von 1985 ist der Wald – wie in den Werken Stifters und Haushofers – selbst nicht mehr präsent, weder als Akteur, noch als Erzähler  oder als Handlungsort. Jelineks Wald besteht nur aus Wörtern und Diskurs: Er ist eine Collage aus geläufigen Phrasen, welche die österreichischen Wäldern beschreiben. Jelineks Methode der Montage lenkt die Aufmerksamkeit auf die politischen und kulturellen Bedeutungen von Wäldern, besonders im Kontext des gegenwärtigen Österreich und dessen anhaltenden Bestrebungen, die letzten Überbleibsel von Wäldern zu zerstören.

Die Steiermark ist an dreien ihrer Prozente mit Wald überzogen. Würden wir nicht in die Berg gehen, wenn wir könnten? […] Zu Familien sind wir angeordnet, blinde Embryos. Sport, ja, das gilt auch für dich, auch wennst aus Plastik bist! Beleidigen wir jetzt den Boden durch useren Langlauf hoopla!

— Elfriede Jelinek, Der Wald, manuskripte 89/90 (1985), S. 43.

Cross-country skiers near Einsiedel. Photograph by Markus Bernet.

Langlaufskifahrer nahe Einsiedel. Fotografiert von Markus Bernet.

Warum denn nicht, wir schaden doch keinem, wir sind selbst der Schaden. Wald, schöner noch als ich dachte wumm! Sogar deinen Schlaf fangens in schmälerischen Videofilmen.

Newly cut road through the northern Bohemian Forest. Photograph by ŠJů.

Neu angelegte Straße durch den nördlichen Böhmerwald. Fotografiert von ŠJů.

Der Wald ist das was schön ist, herrliche Tankstellen während einer modernen Fahrt mit dem Auto durch den Wald, über den übrigens eine Straße hinwegführt, das Beschreiben der Straße erübrigt sich.

— Jelinek, Der Wald, S. 43.

Jelineks post-natürlicher Wald, der aus nichts als Diskurs besteht, ist ausschließliches Produkt menschlicher Aktivität. Er hat keinen inhärenten Wert mehr jenseits leerer Phrasen, welche den Inhalt des Stücks ausmachen. Sogar die Holzarbeiter, die mit dem Wald in Verbindung stehen, haben eine rein pragmatische Einstellung ihm gegenüber - eine Einstellung, die in ihren missbräuchlichen Familienverhältnissen gespiegelt wird:

Unter ihrem Idealhauberl „Familie“ lugen sie hervor, so tarnen sie sich nämlich, diese Geburtenfehler und Geldempfänger. Sollten lieber den Wald mit sich verschonen. Legen aber ihren Gifthauch über die Werkssiedlungen und selbstgeschusterten Einfamilienhäuser der Holzarbeiter.

Wo die Arbeiter ihre Frauen in deren Bestandteil zerlegen um nachzuschauen, ob durch Reparaturen Verbesserungen möglich wären.

— Jelinek, Der Wald, S. 43.

Workers’ housing complexes in Marienthal near Gramatneusiedl/Niederösterreich. Photograph by Joadl.

Arbeiterhäuserkomplex in Marienthal nahe Gramatneusiedl/Niederösterreich. Fotografiert von Joadl.

Die Sprecher in Jelineks Stück sind einzig mit Geld und sozialem Kapital beschäftigt; eine Haltung, die jede echte Sorge um die Wälder gänzlich verdrängt hat. Die einzige Perspektive, auf die es ankommt, ist wirtschaftlicher Gewinn und kurzfristiger Profit. Diese Menschen haben sich und den Wald komplett an wirtschaftliche Interessen und die Tourismusindustrie verkauft. Nachhaltige Einstellungen Wäldern gegenüber existieren nicht.

Weiterführende Links

Wikipedia Artikel über den Film Die Wand

Wikipedia Artikel über Haushofers Roman Die Wand

Elfriede Jelineks Homepage